Von Kai Gemeinder
Man weiß kaum, wo man hinschauen soll. Es ist eng, es ist laut. Auf der Zuschauertribüne fällt das Wort „Reizüberflutung“. Zum Glück gibt es den Hallensprecher, der in der entscheidenden Phase verrät, an welchen Platten die besten Schulteams die Podestplätze unter sich ausmachen. Dabei fällt immer wieder das Bundesland Hessen. In vier von fünf Wettkampfklassen haben die hessischen Schulen das Endspiel erreicht und eine Medaille sicher, in der WK II der Jungen geht es immerhin im kleinen Finale um Bronze. Am Ende wird Hessen mit zweimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze im Gepäck die Halle als erfolgreichstes Bundesland im (Para) Tischtennis wieder verlassen und die Ausbeute aus dem Vorjahr bestätigen.
Ein Mädchen aus Hessen steht beim Frühjahrsfinale 2024 besonders im Fokus: Josi Neumann. Sie debütierte 2022 im Alter von zwölf Jahren in der Damen-Bundesliga und ist damit Deutschlands jüngste Bundesligaspielerin aller Zeiten. Im Doppel wurde sie 2023 Deutsche Vizemeisterin bei den Damen. Außerdem ist sie zweifache Junioren-Europameisterin (Team und Doppel) und gewann bei den U15-Weltmeisterschaften Bronze, ebenfalls im Doppel. Beim Frühjahrsfinale geht Josi in diesem Jahr erstmals an den Start und trägt ihren Teil zum Bundessieg der Carl-von-Weinberg-Schule Frankfurt am Main bei. 2023 mussten sich die Frankfurterinnen noch mit Rang zwei zufrieden geben, was Teil einer kuriosen Geschichte war, die hier noch einmal nachgelesen werden kann: HESSEN HOLT FÜNF VON VIER MÖGLICHEN MEDAILLEN.
„Was mir am meisten Spaß macht, ist zu merken, wie man immer besser wird“, sagt Josi über ihren Sport. Nach kurzem Nachdenken ergänzt sie lachend: „Und natürlich gewinnen.“ Ihr größter Traum ist es, einmal bei Olympia dabei zu sein und dort eine Medaille zu holen. „Ob es klappt, weiß ich nicht. Aber ich werde auf jeden Fall alles geben.“ Im hier und jetzt findet sie es schön, auch mal für die eigene Schule zu spielen und etwas zurückzugeben, „weil mir die Schule sehr viel ermöglicht“. Dass die Mädchen der Eliteschule des Sports den Titel gewinnen, ist aber keineswegs allein Josis Verdienst. Kaum ein Spiel gaben die Mainstädterinnen im Turnierverlauf ab und sicherten sich als Team überlegen den Bundessieg.
Gelebte Inklusion im Tischtennis
Hochtalentierte Spieler*innen kann man auch in den Reihen vieler anderer Schulmannschaften beobachten. Im Para Tischtennis sticht beispielsweise Mika Franke heraus. Der 14-jährige Rollstuhlfahrer ist Deutscher Jugendmeister im Doppel und eines der Gesichter des Frühjahrsfinales. Mika ist auf den Veranstaltungsplakaten und der Titelseite des digitalen Programmhefts zusammen mit vier weiteren Sporttalenten abgebildet. Etwa eine Woche vor Beginn des Bundesfinales wurde Mika darauf aufmerksam gemacht: „Mein Vater hat es mir geschickt. Meine Mutter hat es mir geschickt. Dann hat es mir ein Trainer aus Brandenburg geschickt – und ich hab mich gefragt: Warum schicken die mir das alle? Dann hab ich genauer draufgeschaut und gesehen: Ich bin selber drauf. Das find‘ ich verrückt, weil ich ja letztes Jahr zum allerersten Mal in Berlin dabei war.“ Das sei verwirrend, aber auch schön und motivierend, erzählt Mika. Im letzten Jahr belegte der Para Sportler mit seinen Mitschüler*innen der Stephen-Hawking-Schule Neckargemünd Platz zwei, diesmal landet das Team aus Baden-Württemberg auf dem Bronzerang.
Noch ein weiterer Schüler fällt auf, der mit unglaublicher Energie an der Platte die Blicke auf sich zieht: Mio Wagner vom Lessing-Gymnasium und -Berufskolleg Düsseldorf. Er zählt mit 17 Jahren zu den ältesten Spielern des WK II-Turniers bei den Jungen. Seit fast zwei Jahren lebt und trainiert der gebürtige Lübecker im Deutschen Tischtennis-Internat in Düsseldorf. Bereits 2023 gewann er mit der dort ansässigen NRW-Sportschule den Bundessieg. Die Titelverteidigung sei das Ziel, erzählt Mio nach dem Halbfinalerfolg gegen Saarlands einzige Eliteschule des Sports, das Gymnasium am Rotenbühl Saarbrücken. Gut zwei Stunden später wird er dieses Ziel erreicht haben. Es ist aber nur eines von vielen des ambitionierten Sportlers.
Im Januar wurde Mio, zu dem Zeitpunkt noch 16 Jahre alt, Norddeutscher U19-Meister im Einzel und Doppel. Noch größere Erfolge feierte der Youngster bereits im Para Sport. Aufgrund einer Fehlbildung der rechten Hand, Radiusaplasie genannt, ist Mio auch im Para Tischtennis startberechtigt, wo er 2022 Deutscher Meister und von 2019 bis 2023 viermal Deutscher Jugendmeister wurde. Der ehrgeizige Blondschopf möchte unbedingt zu den Paralympics. Für solche Highlights betreibe er ja den ganzen Aufwand.
Mio Wagner, der aufgrund seiner Einschränkung mit links spielt, ist ein gutes Beispiel für gelebte Inklusion. Im Vereins- und Schulsport tritt er gegen Athleten ohne Handicap an, spielt aber gleichzeitig auch Turniere im paralympischen Bereich. Dass bei „Jugend trainiert“ olympische und paralympische Teams in einer Halle zusammentreffen, findet er gut, gibt aber zu, vom Wettbewerb der anderen nicht viel mitbekommen zu haben: „Wir haben gesagt, wir möchten uns nur auf unser Spiel fokussieren.“ Das ist offenbar bestens gelungen. Der Bundessieg wird sicher nicht der letzte große Erfolg des Norddeutschen bleiben. Daran zweifelt niemand, der den 17-Jährigen hat spielen sehen.
Sicher wären noch viele weitere Spieler*innen zu nennen, die beim Frühjahrsfinale Top-Leistungen abgerufen und sich große Ziele für die Zukunft gesetzt haben. Aber man wusste eben kaum, wo man hinschauen sollte, im blauen Plattenmeer des Horst-Korber-Sportzentrums.
Weitere Eindrücke und Informationen aus der Tischtennishalle befinden sich hier:
Ergebnisse: Tischtennis / Para Tischtennis
Bilder: Tischtennis / Para Tischtnnis
Video: Tischtennis und Para Tischtennis