Von Kai Gemeinder
„Gut – und richtig“ fühle sich diese neue Rolle an, die bislang nur Spitzensportlerinnen und -sportlern zuteilwurde, „weil man sehr oft vergisst, dass diejenigen, die einen Wettbewerb begleiten, in Form eines Kampfrichterjobs oder einer Schiedsrichterin, sehr wohl auch gefordert sind und in ihrer Funktion Leistungssport betreiben. Sie wollen alle ihr Bestes geben, um möglichst erfolgreich zu sein. Und ohne sie wäre Wettbewerb in den meisten Sportarten nicht möglich.“
Dabei ist der frühere FIFA-Referee, heutige Chef der DFB-Elite-Schiedsrichter und gefragte Keynote-Speaker ein perfekter Botschafter für die Werte, die „Jugend trainiert“ ausmachen: Fair Play, Respekt, Teamgeist – und Leistungsbereitschaft.
Von der Schulbank an die Pfeife
Knut Kircher weiß, wovon er spricht. Schon als Schüler am Tübinger Wildermuth-Gymnasium stand er für „Jugend trainiert“ auf dem Platz – zunächst als Fußballer und Leichtathlet, später auch als Schiedsrichter. „Ich war 17, als ich das erste Mal gepfiffen habe“, erinnert er sich. „Mein Sportlehrer hat damals gesagt: ‚Mensch, du könntest doch da ein Spiel leiten.‘ Und dann wurde ich tatsächlich offiziell angesetzt.“
Die ersten Spiele führten ihn nicht nach Berlin – „das wäre ein Highlight gewesen, das mir verwehrt blieb“, lacht er –, sondern auf die heimischen Schulplätze in Tübingen. Dort lernte der junge Kircher, dass Entscheidungen auf dem Platz manchmal härter diskutiert werden als im Unterricht. „Wenn du Spiele leitest, in denen Mitschüler oder Bekannte aus der Nachbarschule mitspielen, dann begegnet man sich danach im Bus, in der Stadt oder auf dem Pausenhof. Wenn eine Entscheidung nicht gepasst hat, wirst du natürlich angesprochen. Das kann schwierig sein. Aber es fühlte sich dennoch richtig an, Spiele zu pfeifen.“
Perspektivwechsel erweitert den Horizont
Heute, fast vier Jahrzehnte später, sagt Kircher, „Schiedsrichter sind Teil des Sports – nicht nur Begleiter“, und kämpft dafür, dass genau dieses Verständnis auch bei jungen Sportlerinnen und Sportlern ankommt. „‚Jugend trainiert‘ ist ein wunderbares Umfeld, um Talente zu entdecken – nicht nur sportliche, sondern auch solche, die im Schiedsrichterwesen liegen“, betont er.
Tatsächlich pfeifen beispielsweise bei den Bundesfinals im Hockey überwiegend Schülerinnen und Schüler. Beim Herbstfinale 2025 war der Jüngste von ihnen der 14-jährige Oskar Holze: Im vergangenen Jahr noch als Spieler in Berlin dabei, kehrte er diesmal als Schiedsrichter zurück – eine Geschichte, die Kircher begeistert. „Zuerst einmal würde ich ihn beglückwünschen“, sagt er und rät dem Nachwuchs-Schiri aus Schwerin: „Bleib du selbst, bleib ruhig, bleib klar, halte es einfach. Und vor allem: Hab Spaß dabei und zeig es deinem Gesicht.“
Dass die Deutsche Schulsportstiftung nicht nur Sport-, sondern auch Schiri-Talente fördert und verstärkt auf das umfangreiche ehrenamtliche Engagement bei den Bundesfinalveranstaltungen aufmerksam machen möchte, findet Kircher klasse. Deshalb habe er auch nicht lange nachdenken müssen, als er gefragt wurde, ob er bereit sei, bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics in die Paten-Rolle zu schlüpfen.
Für Kircher ist klar: „Wer als junger Mensch einmal die Perspektive wechselt und das Spiel aus der Schiedsrichterbrille betrachtet, der erweitert seinen Horizont nachhaltig.“
Worauf es ankommt, wenn man Spiele pfeift
Auf die Frage, was eine gute Schiedsrichterin oder einen guten Schiedsrichter ausmacht, antwortet Kircher schwäbisch trocken: „Nicht geschimpft ist genug gelobt.“ Das heißt: Wenn der Schiedsrichter gar nicht auffällt, hat er wohl alles richtig gemacht.
Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. „Zu einem guten Schiedsrichter oder einer guten Schiedsrichterin gehören Respekt, Fairness, Empathie, Kommunikationsfähigkeit – und Entscheidungsfreude“, erklärt er. „Wenn es auf dem Platz emotional wird, braucht es jemanden, der mit klarem Blick entscheidet.“
Entscheidungsfreude ist ein Begriff, der sich wie ein Leitmotiv durch Kirchers Karriere zieht. Zwischen 1998 und 2016 leitete er 41 DFB-Pokal-Partien, 372 Spiele in der 1. und 2. Bundesliga sowie 35 weitere auf internationaler Bühne – mit all der Verantwortung, die auf einem Schiedsrichter lastet. „Man trifft in 90 Minuten hunderte Entscheidungen“, sagt er. „Und nicht alle sind richtig. Aber man muss entscheiden – sonst geht es nicht weiter.“ Seine Erfahrung gibt Kircher auch in seinen Vorträgen mit Titeln wie „Die Entscheidung steht!“ oder „Entscheidungen mit Lust und Entschlossenheit treffen“ weiter.
Fehler sind menschlich – und lehrreich
Kircher weiß, dass Fehlentscheidungen dazugehören. In Erinnerung bleibt seine ehrliche Reaktion nach einem Bundesliga-Spiel zwischen Bayern München und dem FC Augsburg, als er nach einem irrtümlich gegebenen Elfmeter, der kurz vor Schluss zum Bayern-Sieg führte, sofort vor die Kameras trat, den Fehler eingestand und sich entschuldigte. „Wir sind und bleiben Menschen und keine Robots“, sagt er heute. „Wichtig ist, wie man damit umgeht. Es braucht eine Fehlerkultur – kritisch, aber respektvoll.“
Gerade jungen Menschen möchte er vermitteln, dass Fairness und Umgang mit Fehlern zentrale Lernfelder sind – nicht nur im Sport. „Wenn Trainer und Spieler verstehen, dass auch Schiedsrichter Fehler machen dürfen, dann entsteht ein gutes Miteinander. Dann lernen alle, Verantwortung zu übernehmen, statt nur mit dem Finger auf andere zu zeigen.“
Teamgeist und Gemeinschaft – auf und neben dem Platz
Für Kircher ist das Miteinander das Herzstück des Sports. „In einem Team entsteht ein Gefüge, eine Gemeinschaft. Man kämpft füreinander. Dieser Gemeinschaftsgedanke hilft auch außerhalb des Sports und trägt zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen bei“, sagt er. Kirchers Wunsch: „Wenn man den Teamgeist im sportlichen Kontext weiterdenkt, dann nimmt man auch den Schiedsrichter mit dazu und sagt: ‚Du bist ein Teil des Ganzen.‘“
Dieser Ansatz passt hervorragend zu „Jugend trainiert“, wo alle Wettbewerbe als Teamentscheidungen ausgetragen werden – ob im Fußball, Rudern oder Turnen. „Es gibt viele, die zum Erfolg beitragen, auch wenn sie nicht im Rampenlicht stehen“, sagt Kircher. „Das gilt für Lehrkräfte, Betreuer, Trainerinnen – und eben auch für Kampf- und Schiedsgerichte.“ Darauf aufmerksam zu machen, ist Kircher wichtig.
Und noch ein Satz, der hängen bleibt: „Guckt euch die jungen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter an – das sind smarte, coole Typen. Sie haben den Mut, den Sport aus einer anderen Perspektive zu erleben. Und sie gehören genauso zur „Jugend trainiert“-Gemeinschaft wie alle anderen.“
Werte, die tragen
Respekt, Fairness, Kompromissbereitschaft, Gemeinschaft – das sind für den 56-Jährigen Werte, die unsere Gesellschaft dringend braucht. „Mir sind zu viele Egotrips unterwegs“, sagt er. „Wenn wir wieder mehr Respekt voreinander hätten, wenn wir Fairness leben würden – gewinnen oder sich etwa mit der eigenen Meinung durchsetzen ja, aber nicht um jeden Preis –, dann wären wir schon ein großes Stück weiter.“
Diese Haltung passt zu seiner neuen Rolle als Pate von Jugend trainiert für Olympia & Paralympics. Für ihn ist sie mehr als eine Auszeichnung: „Ich kenne ‚Jugend trainiert‘ aus beiden Perspektiven – als Aktiver und als Schiedsrichter. Es fühlt sich gut und richtig an, jetzt als Pate etwas zurückgeben zu dürfen.“
„Habt Spaß, zeigt Respekt – und bleibt offen“
Wenn er an die über 3.600 Schülerinnen und Schüler denkt, die zuletzt im Herbst 2025 zum Bundesfinale nach Berlin gereist sind, kommt Kircher ins Schwärmen: „Allein dabei zu sein, ist ein Riesenerfolg. Das ist Emotion pur – das kann man gar nicht messen. Ich gratuliere allen, die das erreicht haben.“
Sein Appell an die Teilnehmenden zukünftiger Bundesfinals ist einfach und herzlich: „Habt Spaß an dem, was ihr tut, zeigt Respekt – und bleibt offen. Und schaut auch mal nach links und rechts – da stehen vielleicht Leute, die den gleichen Wettbewerb begleiten, aber keine Medaille gewinnen können. Ohne sie würde euer Wettkampf aber gar nicht stattfinden.“
Ein Vorbild mit vielen Talenten kehrt zurück
Knut Kircher hat beruflich viel erreicht, studierte Maschinenbau und arbeitete bis 2024 als Abteilungsleiter im Sportwagensegment bei Daimler. Auch hier waren seine natürliche Autorität und Kommunikationsstärke neben fachlicher Kompetenz gefragt. „Ich war immer jemand, der versucht hat, besser zu werden in dem, was er tut“, sagt er bescheiden. Auf seine Schiedsrichterkarriere angesprochen, ergänzt er: „Dass ich es bis in die Bundesliga und auf die FIFA-Liste geschafft habe, hätte ich als junger Kerl nie erwartet. Die Schiedsrichterei war neben Reiten, Fußball-, Akkordeon- und Theaterspielen eines von vielen Hobbys – und wurde dann irgendwann zur Leidenschaft.“
Nun ist er wieder da, wo alles begann: bei den jungen Menschen, bei der Schule, bei „Jugend trainiert“. Diesmal nicht mehr mit der Pfeife in der Hand, sondern mit einer Botschaft im Herzen: Sport ist mehr als Gewinnen – es ist Lernen fürs Leben.













