von Kai Gemeinder
Alexander ist sechs Jahre alt, als er die Sportart für sich entdeckt, die fortan sein Leben verändern und prägen wird. Aufgrund seines Bewegungsdrangs empfahl man der Mutter, den Jungen zum Judo zu schicken. Auf Kraft, Schnelligkeit und koordinative Fähigkeiten kommt es an. Einerseits. Aber Judo ist nicht nur ein Sport, sondern auch eine Philosophie zur Persönlichkeitsentwicklung. Das gegenseitige Helfen und Verstehen zum beiderseitigen Fortschritt und Wohlergehen sowie der bestmögliche Einsatz von Körper und Geist liegen der japanischen Kampfsportart als Prinzipien zugrunde. Der respektvolle Umgang miteinander gehört ebenso wie Disziplin zu den Grundtugenden. All das hat Alexander als Kind verinnerlicht und zeichnet ihn auch als Erwachsenen aus. Der 32-Jährige ist stets freundlich, höflich, zugewandt. Gleichzeitig ist Alexander Wieczerzak ein Kämpfer, der mit Ehrgeiz, Leidenschaft und maximalem Einsatz seine Ziele verfolgt. Sich selbst bezeichnet er als Perfektionisten, der „immer alles richtig machen“ will.
Die Kindheit und ersten Schuljahre verbrachte Alexander, der 1991 geboren wurde, in Frankfurt Bockenheim. Aufgrund seines Talents wechselte er 2005 nach Kaiserslautern an die dortige Eliteschule des Sports und nahm in der Folge mit seinem Schulteam erfolgreich an den Judowettbewerben von Jugend trainiert für Olympia teil. Beim Bundesfinale landete er mit dem Heinrich-Heine-Gymnasium Kaiserslautern auf dem vierten und dritten Platz. „Das war damals schon ein riesiges Event für mich“, erinnert sich der Vorzeige-Athlet. „Wir haben an der Eliteschule ja sonst nie als Team gekämpft. Man hat dort trainiert, war von Montag bis Freitag da, und hat dann am Wochenende seine eigenen Wettbewerbe für den Heimatverein gehabt. ‚Jugend trainiert‘ war für mich das erste Mal, dass man auch mit der Schule unterwegs war und um eine Meisterschaft gekämpft hat. Für uns hat das ein Flair gehabt wie kleine Olympische Spiele.“
Der internationale Durchbruch gelang Wieczerzak noch während seiner Schulzeit, als er 2010 bei den U20-Weltmeisterschaften den Titel gewann. Nach dem Abitur 2012 zog es ihn dann nach Köln, wo er zusammen mit weiteren Mitgliedern der Nationalmannschaft bis heute am Olympiastützpunkt perfekte Trainingsbedingungen vorfindet. Als Frohnatur und kontaktfreudiger Mensch passt Wieczerzak natürlich perfekt zur Kölschen Lebensart. Gleichwohl fühlt er sich nach wie vor eng mit der Rhein-Main-Region verbunden, bezeichnet das hessische Frankfurt als seine Heimat und startet seit vielen Jahren für den Judo Club Wiesbaden 1922 e.V..
Wieczerzak gewinnt den wichtigsten Kampf seines Lebens – und ein Jahr später WM-Gold
Schon über ein Jahrzehnt gehört Wieczerzak in der Gewichtsklasse bis 81 kg der Judo-Weltelite an. Seinen größten sportlichen Triumph feierte er aber zu einem Zeitpunkt, als am wenigsten damit zu rechnen war. Als 24. der Weltrangliste gewann der Judoka 2017 den Weltmeistertitel. 14 Jahre lang war das keinem deutschen Athleten mehr gelungen. Ein Jahr zuvor hatte Wieczerzak noch die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro verpasst. Erst warfen ihn Verletzungen zurück, dann erkrankte er Anfang 2016 nach einem Grand Prix in Havanna am Tropenfieber. Ein Mückenstich setzte dem muskelbepackten, vor Energie strotzenden Athleten dermaßen zu, dass er nach Aussage der Ärzte auch hätte sterben können. Diesen wahrlich wichtigsten Kampf in seinem Leben hat Wieczerzak gewonnen. Und im Jahr danach den WM-Titel.
Auf Weltmeisterschafts-Gold 2017 folgte WM-Bronze 2018, wobei Wieczerzak im Kampf um Platz drei seinen Nationalmannschaftskollegen Dominic Ressel bezwang. Beim internen Duell um den einzigen Startplatz zu den Olympischen Spielen 2021 in Tokio hatte dann allerdings Ressel die Nase vorn, belegte im Einzelwettbewerb bis 81 kg den fünften Platz und gewann wenige Tage später mit dem Team Olympia-Bronze. Wieczerzak wiederum gehörte vor zehn Monaten der gemischten deutschen Mannschaft an, die bei den Europameisterschaften 2022 auf dem Bronzerang landete.
„Als Judo-Pate bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics schließt sich jetzt ein Kreis“
Längst hat Alexander Wieczerzak begonnen, seine Popularität zu nutzen, um den nächsten Generationen im (Judo-)Sport etwas zurückzugeben. Gerne absolviert er mit dem Nachwuchs Trainingseinheiten und gibt dabei seine jahrelange Erfahrung weiter. Zudem engagiert er sich künftig bei der Werte-Stiftung, deren Vorstandsvorsitzende die Paralympics-Athletin Denise Schindler ist.
Als die Frage aufkam, ob er sich vorstellen könne, die Judo-Patenschaft bei „Jugend trainiert“ zu übernehmen, sagte er ohne Zögern zu. „Früher habe ich selbst am Wettbewerb teilgenommen. Als Judo-Pate bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics schließt sich jetzt ein Kreis. Das ist doch mega“, sagt er. Beim Herbstfinale will Wieczerzak neben den Wettbewerben auch die Abschlussveranstaltung in der Max-Schmeling-Halle besuchen. Er freue sich darauf, die Nachwuchstalente zu treffen und den besten deutschen Schulmannschaften im Judo ihre Medaillen überreichen zu dürfen. Wieczerzak betont: „Wenn ich etwas mache oder mich für eine Sache engagiere, möchte ich auch einen Mehrwert schaffen. Ich möchte etwas bewirken.“ Deshalb sei es für ihn selbstverständlich, gleich die erste Gelegenheit zu nutzen, bei einem Bundesfinale dabei zu sein und eine aktive Rolle zu übernehmen. „Pate nur auf dem Papier, das bringt doch nichts,“ so seine Meinung.
Mit Alexander Wieczerzak hat die „Jugend trainiert“-Familie einen der erfolgreichsten deutschen Judoka als Paten hinzugewonnen. Einen, zu dem Nachwuchstalente aufschauen und der sportlich wie menschlich ein echtes Vorbild ist.