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Triathlon beim Herbstfinale: inklusiv und international

Das gab es noch nie bei „Jugend trainiert“: Die Deutsche Schule Sonderburg aus Dänemark nahm im Triathlon als erste ausländische Schule an einem Bundesfinale teil. Die deutsche Minderheitenschule qualifizierte sich beim Landesentscheid Schleswig-Holsteins für das 100. Berliner Bundesfinale – und das ohne Triathlon-Spezialist*innen in den eigenen Reihen. Auch der Poelchau-Schule Berlin gelang das Kunststück, ohne aktive Triathlet*innen ihr Landesfinale zu gewinnen. Zudem setzte die „Sportschule im Olympiapark“ ein Zeichen für Inklusion.

Von Kai Gemeinder

Zu den Besonderheiten von Jugend trainiert für Olympia & Paralympics zählt es, dass sich in einigen Teams Schüler*innen befinden, die eigentlich in einer anderen Sportart zu Hause sind. Für die Judoka des Ruhr-Gymnasiums Witten beispielsweise ging beim Herbstfinale 2022 mit Muslim Dzortov ein dreimaliger NRW-Landessieger im Ringen auf die Tatami-Matte. Und im Leichtathletikteam des Landrat-Lucas-Gymnasiums Leverkusen kam nach Aussage von Betreuer Jonas Reckermann, selbst ehemaliger „Jugend trainiert“-Teilnehmer und Beach-Volleyball-Olympiasieger von 2012, ein Fußballer zum Einsatz. Fälle wie diese sind keine Seltenheit.

Am häufigsten aber werden Sporttalente aus anderen Sportarten im Triathlon eingesetzt. Von einigen Eliteschulen des Sports einmal abgesehen, besuchen selten ausreichend viele leistungsstarke Triathlet*innen dieselbe Schule, weshalb regelmäßig Schwimm-, Lauf- oder Radsporttalente hinzugezogen werden, die zumindest in einer Teildisziplin des Triathlon erfolgreich sind.

Im Extremfall kann es sogar sein, dass Triathlon-Schulmannschaften komplett ohne Triathlet*innen antreten. Die Deutsche Schule Sonderburg und die Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule Berlin haben gezeigt, wie erfolgreich man mit einer Truppe aus Quereinsteiger*innen sein kann. Sie sind beim Herbstfinale 2022 auf den Plätzen sieben und sechs gelandet. Das ist bemerkenswert. Aber längst nicht der einzige Grund, diesen beiden Schulen einen eigenen Beitrag zu widmen.


International, vielseitig begabt und vor allem: hygge – die Deutsche Schule Sonderburg

Sie bezeichnen sich selbst als „hygge“. Das Wort beschreibt ein dänisches Lebensgefühl. „Hygge“ zu sein bedeutet gemütlich, entspannt, offen und freundlich zu sein und dabei das Leben mit lieben Menschen in herzlicher Atmosphäre zu genießen. Für Lehrer Edgar Claussen sind die Jugendlichen um ihn herum mehr als Schüler*innen. Sie sind Freunde, wenn nicht sogar Familie. „Ich kriege manchmal Weihnachtskarten von Eltern, die mir schreiben: ‚Danke, dass du dich wie ein Vater um unsere Kinder kümmerst.‘“ Für ihn ist das selbstverständlich. Oder einfach „hygge“.

Claussen ist Lehrer an einer kleinen Schule mit 220 Schüler*innen. „Es ist ein Wunder, wenn wir genügend Schülerinnen und Schüler zusammenbekommen, um eine Mannschaft aufzustellen“, erklärt er (hier geht's zum Video). In Berlin besteht diese Mannschaft zur Hälfte aus Schwimmer*innen, andere klettern oder betreiben Leichtathletik und Rhönradturnen. Zusammengenommen sind sie eine „Clique“, wie Claussen sagt.

Aber wie kam es zu der Idee, sich im Triathlon beim Schulsportwettbewerb anzumelden? Zum einen handelt es sich bei den vier Schwimmer*innen im Team um sehr starke Athlet*innen, wobei Kalina Gamisheva heraussticht. Sie ist 14-fache dänische Meisterin und zudem vielseitig talentiert. Ein Beispiel: Im Mai 2022 hat Kalina an der U18-Weltmeisterschaft im Rhönradturnen teilgenommen. Eine Top-Schwimmerin bei der Rhönrad-WM? Das ist schon außergewöhnlich. Neben Kalina war auch ihre Teamkollegin Paprika Møller bei der WM aktiv und landete als 13-Jährige in der U18-Wertung auf einem beachtlichen 15. Platz.

„Laufen können wir, schwimmen können wir. Dann können wir auch Triathlon“

Zum anderen haben einige Teammitglieder der Minderheitenschule aus Sonderburg in der Vergangenheit bereits ihr Lauftalent unter Beweis gestellt. Fünf von ihnen hatten 2019 an einem Staffel-Marathon auf Helgoland teilgenommen und diesen in ihrer Altersklasse gewonnen. „Und da dachten wir: Laufen können wir, schwimmen können wir. Dann können wir auch Triathlon“, erinnert sich Lehrer Claussen. Coronabedingt musste die Gruppe allerdings drei Jahre lang warten, ehe eine Teilnahme am „Jugend trainiert“-Landesfinale von Schleswig-Holstein möglich war. Dieses gewannen sie mit vier Minuten Vorsprung. Und deshalb sind sie nun in Berlin – als erste ausländische Schule bei einem Bundesfinale von Jugend trainiert für Olympia & Paralympics.

Internationales Flair verliehen sie dem Herbstfinale aber nicht nur, weil sie aus Dänemark nach Berlin gereist sind. So vielfältig das sportliche Talent innerhalb des Teams verteilt ist, so vielfältig sind auch die Nationalitäten der Schüler*innen. Nur eine Dänin ist unter ihnen. Andere stammen aus Litauen, Rumänien, Bulgarien. Zwei Jugendliche haben Eltern aus Dänemark und Litauen bzw. Dänemark und Deutschland; die Eltern eines Jungen hat es aus Kolumbien und den USA nach Sonderburg, einem Industriestandort, verschlagen.

Den Schüler*innen gefällt es, bei „Jugend trainiert“ als Team an den Start gehen zu dürfen. Den Staffelwettbewerb mögen sie besonders, erzählen die Jugendlichen. Dennoch seien an dieser Stelle zwei Einzelleistungen erwähnt. Kalina Gamisheva belegte im Einzelklassement den 5. Platz unter 59 Starterinnen und war die schnellste Schwimmerin im gesamten Feld. Boris Gamishev brachte ebenfalls die fünftbeste Einzelleistung in die Teamwertung mit ein und lag im Becken an zweiter Stelle.

Vor den beiden lagen jeweils drei Starter*innen aus der Triathlon-Hochburg Neubrandenburg sowie eine Schülerin aus Cottbus und ein Schüler aus Bremen. Wer weiß, vielleicht steht Kalina und Boris ja noch eine große Triathlon-Karriere bevor. Das Talent dazu haben sie in Berlin unter Beweis gestellt – und mit dem Team einen hervorragenden 7. Platz erreicht, während das Sportgymnasium Neubrandenburg zum bereits sechsten Mal in der zehnten Auflage des Triathlon-Wettbewerbs den Titel gewann.

Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule Berlin landet vor Sonderburg auf sechstem Platz

Auch die Poelchau-Schule hat sich auf Landesebene ohne reine Triathlet*innen für das Bundesfinale qualifiziert und in unmittelbarer Nähe zum eigenen Schulgebäude im Berliner Olympiapark einen hervorragenden 6. Platz erzielt. „Es ist so grandios gelaufen, wie es niemals besser hätte laufen können“, platzt Lehrerin Corinna Schönemann beinahe vor Stolz. Sie ist, wenn man so will, die einzige Triathletin im Team, zählte im Ausdauerdreikampf früher zur DDR-Elite. Ihre Schüler*innen, mit denen sie am Bundesfinale von „Jugend trainiert“ an den Start ging, sind hingegen alle Schwimmer*innen.

Wie sehr Wasser deren Element ist, lässt eine Anekdote erahnen, die Corinna Schönemann gerne erzählt. Konstantin Kapustins, der bei den Berliner Schwimmmeisterschaften im Juli viermal Bronze gewann, sei in der 5. Klasse einmal mit seiner Schwimmbrille in ihren Geschichtsunterricht gekommen, erinnert sich die Pädagogin.

Lilith Tenzer und Ronen Feldman – zwei andere aus ihrem Triathlon-Aufgebot – zählen in ihren Altersklassen zur nationalen Spitze im Freiwasserschwimmen. Auch Simon Hayer fühlt sich eigentlich über die längeren Distanzen am wohlsten, überzeugte aber dennoch mit der besten Einzelzeit aller Starter im 200 m-Rennen des „Jugend trainiert“-Triathlons.

Und Paula Pichier, eine sehr erfolgreiche gehörlose Schwimmerin, war bei den Deaflympics 2022, den Olympischen Spielen für Gehörlose, in Brasilien dabei. Dort belegte sie als 13-Jährige zwei 5. Plätze im Brustschwimmen, wurde 6., 7., und 8. in verschiedenen Rücken-Disziplinen. Nun stieg Paula für ihre Schule im Triathlon ins Becken, aufs Rad und in die Laufschuhe, wodurch der Wettbewerb inklusiven Charakter bekam. Inklusion ist an der Eliteschule des Sports übrigens eine Selbstverständlichkeit, für die Paulas Schulklasse vor einigen Monaten sogar bei der Allianz Werte-Challenge ausgezeichnet wurde. In der Kategorie „Inklusion" gewann die Sportschule im Olympiapark mit ihrem eingereichten Video den 1. Platz. 

Warum aber nimmt die Gruppe eigentlich im Triathlon und nicht im Schwimmen am Herbstfinale von „Jugend trainiert“ teil, könnte man fragen. Die Antwort lautet: Trotz ihres großen Potentials im Becken haben die Poelchau-Schüler*innen bezogen auf den Schulsportwettbewerb das Problem, schon auf Landesebene auf einen noch stärkeren Gegner zu treffen: Das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin. Das SLZB dominiert nicht nur im Land, sondern ist auch auf Bundesebene das Maß der Dinge. In allen Wettkampfklassen gewann das SLZB im Schwimmen den Bundessieg – mit Ausnahme der WK III Jungen, wo die Schule krankheits- und verletzungsbedingt kurzfristig ihr Team zurückziehen musste.

Gina Lückenkemper sieht in Vielfalt an Wettbewerben Bereicherung für Sportdeutschland

Für die Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule Berlin ist der Triathlon-Wettbewerb also eine alternative Chance, beim Bundesfinale von „Jugend trainiert“ mit ihren besten Schwimmer*innen dabei zu sein. Eine Chance, die von den Schüler*innen ergriffen und genutzt wurde. Der 6. Platz im Gesamtklassement zeugt davon. Die Teilnahme hat sich für sie auf jeden Fall gelohnt.

Als am Tag vor Beginn der Triathlon-Wettbewerbe das Pressegespräch mit Gina Lückenkemper im Olympiapark stattfand, waren die Schwimmtalente vor Ort und haben von ihrem anstehenden Wettbewerb im Triathlon berichtet. Die zweifache Europameisterin der European Championships und „Jugend trainiert“-Jubiläumsbotschafterin findet es gut, dass sich junge Athlet*innen bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics in verschiedenen Sportarten ausprobieren können. „Ich glaube einfach, dass diese Vielfalt an Wettbewerben eine große Bereicherung für Sportdeutschland ist“, sagte sie.

Manchmal ebnet ein solcher Quereinstieg sogar den Weg zu einer leistungssportlichen Karriere. Lückenkempers Sprintkollege Lucas Ansah-Peprah dient hier als aktuelles Beispiel. Weil dessen Sportlehrer erkannte, wie schnell Lucas rennen kann, nahm er den Fußballer mit zum Leichtathletikwettkampf von „Jugend trainiert“. Dort kam Lucas zum ersten Mal in seinem Leben mit dieser Sportart in Berührung. Fünf Jahre später gewann der einstige Fußballer bei den World Relays mit der 4*200 m-Staffel den Weltmeistertitel und stand bei den Olympischen Spielen in Tokio mit der 4*100 m-Staffel im Finale. Ohne „Jugend trainiert“ wäre er nie zur Leichtathletik gekommen, sagt Lucas selbst.

Und wer weiß, vielleicht sehen wir irgendwann auch eines der Schwimmtalente aus Berlin oder Sonderburg bei einem internationalen Wettkampf im Triathlon wieder. Dann hätte sich die Teilnahme am Schulsportwettbewerb gleich doppelt bezahlt gemacht.

Die Sporttalente der Deutschen Schule Sonderburg beim Bundesfinale von "Jugend trainiert"

Wieder einmal nicht zu schlagen: Das Sportgymnasium Neubrandenburg holte zum 6. Mal in der 10. Auflage des Triathlon-Wettbewerbs bei "Jugend trainiert" den Titel.

Sportlehrerin Corinna Schönemann (links im Bild) und die Gehörlosensportlerin Paula Pichier (rechts) feuern beim Wechsel den eigenen Teamkollegen an.

Selfie-Time: Gina Lückenkemper mit Schüler*innen der Poelchau-Schule Berlin

Das Team der Poelchau-Schule Berlin freut sich auf den gemeinsamen Einsatz im Triathlon. © alle Bilder: DSSS/sampics

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