Der Wettbewerb hatte noch gar nicht angefangen, da deutete sich schon an, dass die Mädchen und Jungen der Grundschulen Dachauer Straße 98, Infanteriestraße und Amphionpark einen schönen Tag auf dem modernen Campus der TU München verbringen würden. Zu einem Lied, das die meisten Kinder vor einem Monat nicht einmal gekannt haben dürften, inzwischen aber textsicher mitsingen können, liefen sie um kurz nach 9:00 Uhr mit dem eine Musikbox hinter sich her ziehenden Moderator Kai Gemeinder kreuz und quer über den Sportplatz. „Völlig losgelöst“ sangen er und die Grundschulkinder voller Inbrunst. Die verbindende Kraft des Sports und der Musik wurden in diesen ersten Minuten des zentralen Grundschulwettbewerbs, der am Tag vor dem EM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Spanien stattfand, deutlich sichtbar. Dass es bei den anschließenden, sportartübergreifenden Teamaufgaben gar nicht um Fußball ging, störte niemanden. Die Freude war geweckt und sie hielt bis zur finalen Siegerehrung an.
In zwei Durchgängen absolvierten zunächst die Kinder der dritten, dann der vierten Klassen einige der 52 für den Grundschulwettbewerb entwickelten Bewegungseinheiten. In München waren die Stationen Hindernissprint-Staffel, Zonenwurf aus dem Stand, Prell und ziel dich fit, Teampassen und Sprungchoreographie ausgewählt worden. Für alle 52 Aufgaben, die acht Bewegungsfeldern zugeordnet sind, gilt: Sie sind spielerisch und im Team zu bewältigen; sie sind kindgerecht und inklusiv durchführbar; sie vermitteln den Spaß an der Bewegung und ermöglichen einen Leistungsvergleich; sie zielen vorrangig auf eine Verbesserung der Koordination und fördern gleichzeitig die Teamfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung der Übenden.
Für drei Stunden verwandelte sich das Leichtathletikstadion auf dem Gelände der TU München in eine Spielwiese mit Wettbewerbscharakter. Und in den Pausen hatten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, sich die Zeit am Glücksrad der DFL Deutsche Fußball Liga und bei einem Sportquiz der Allianz zu vertreiben. Manche tanzten aber auch einfach zur Musik, die während der gesamten Veranstaltung aus dem Lautsprecher schallte. Unterstützt wurde der sportliche Vormittag von Lehramtsstudierenden der TUM, die sich zudem an der parallel stattfindenden Schulung zum „Jugend trainiert“-Grundschulwettbewerb beteiligen und praktische Erfahrungen für ihr späteres Tätigkeitsfeld sammeln konnten. (Hier geht's direkt zum Video des Tages.)
Konstruktives Fachgespräch zum Thema „Sport in der der Grundschule“ rundet den Tag ab
Aufmerksam verfolgt wurde das bunte Treiben auf dem Uni-Campus von den am anschließenden Fachgespräch beteiligten Expertinnen und Experten. Dies waren neben den beiden ehemaligen Profisportlerinnen Isabell Klein (frühere Handball-Nationalspielerin; u.a. Vizeweltmeisterin sowie Europameisterin Beachhandball) und Grundschullehrerin Katharina Trost (u.a. sechsmalige Deutsche Meisterin in der Leichtathletik und Halbfinalistin über 800 Meter bei den Olympischen Spielen Tokio 2021) Katrin Braun (die für den Schulsport zuständige Sportreferentin der Regierung von Oberbayern), Dominic Ullrich (Vorstandsmitglied der Deutschen Schulsportstiftung und federführend an der Entwicklung des Grundschulwettbewerbs beteiligt), Georg Clarke (Vizepräsident des Deutschen Handballbundes) sowie Dr. Thomas Froschmeier (Sportdidaktiker und Dozent im Department of Health and Sport Science an der TU München).
Unisono lobten die Podiumsgäste das Konzept des im Schuljahr 2022/2023 eingeführten „Jugend trainiert“-Grundschulwettbewerbs, an dessen Entstehung neben der Deutschen Schulsportstiftung auch die Kultusministerien der Länder und alle an „Jugend trainiert“ beteiligten Spitzensportverbände des DOSB – so auch der Deutsche Handballbund – mitgewirkt hatten.
Dr. Thomas Froschmeier regte an, die entwickelten Übungen in die Universitätsausbildung einzubauen. Gleichzeitig mahnte er: „Wir brauchen Lehrkräfte, die methodisch besser vorbereitet sind.“ Am Grundschulwettbewerb habe ihm gefallen, dass verschiedene Kompetenzen abgerufen würden. „Da können auch die Kinder performen, die aufgrund von körperlichen Defiziten sonst im Sportunterricht oft den Stempel aufgedrückt bekommen: Du bist kein Sportler.“
Genau darauf zielt die von Dominic Ullrich viel zitierte 4B-Erfolgsformel ab: „Kinder frühzeitig bewegen und begeistern, um sie damit zu bilden und zu binden." Das ist auch Isabell Klein ein Anliegen: „Es müssen die Kinder erreicht werden, die nicht vom Elternhaus an Sport herangeführt werden.“ Mit ihrer eigenen Familie habe sie zwei Jahre in Frankreich gelebt und die Erfahrung gemacht, dass schon im Kindergarten jeder Tag mit 30 Minuten Sport beginne. „Dort hat Sport einen höheren Stellenwert“, sagte sie und beklagte, dass der Sportunterricht ihres Sohnes an einer bayerischen Grundschule hingegen regelmäßig ausfalle und die Lehrerin keinen Bezug zum Sport habe.
Der Tatsache, dass in der Grundschule oftmals fachfremde Lehrkräfte Sport unterrichten, wirke man in Bayern unter anderem mit „Fit für den Sportunterricht“-Lehrgängen entgegen, betonte Katrin Braun. „Dort bekommen Lehrkräfte Ideen für die Praxis, die sie dann direkt im Unterricht umsetzen können.“ Fachfremde Lehrkräfte gebe es. Das hieße aber nicht, dass sie unqualifiziert seien, so die Einschätzung der Sportreferentin. Zumal man als Gegenmaßnahme den Zugang für Quereinsteiger vereinfacht habe und Sportstudierende als Substitute an Schulen einsetze.
Alles andere als fachfremd ist Katharina Trost. Sie hat neben ihrer Spitzensportkarriere Grundschullehramt an der TU München studiert und viel Positives für ihr heutiges Berufsfeld mitgenommen. „Wir haben an der Uni die Inhalte, die für die Kinder vorgesehen sind, mit den Kommilitonen ausgetestet“, erzählte sie. Allerdings gab sie zu, es sei schon etwas anderes, ob man das vor seinen Kommilitonen teste oder ob man auf einmal 24 kleine Kinder vor sich habe. Gleichzeitig stellte sie fest: „Die Kinder bewegen sich wahnsinnig gerne. Das Lieblingsfach der meisten Grundschulkinder ist Sport.“ Um dieses Potenzial besser zu nutzen, sollte es auch am Nachmittag mehr Sportangebote geben als bisher.
Dass ab August 2026 Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen besteht, sieht Georg Clarke in dem Zusammenhang als „riesen Chance“ und appelliert: „Ich sehe es als Aufgabe von Sportfachverbänden und Vereinen, die Schulen zu unterstützen und noch stärker als bisher mit ihnen zu kooperieren.“ Notwendig, so die Forderung des DHB-Vizepräsidenten an die Politik, sei es aber auch, die Rahmenbedingungen für die Betreuung des Ganztages zu verbessern. Georg Clarke nannte hier unter anderem die unterschiedliche finanzielle Ausstattung in den Ländern.
Alle sind sich einig: Kinder wollen sich messen
Einigkeit bestand bei allen Diskutantinnen und Diskutanten darin, dass „Jugend trainiert“ eine wichtige Säule des Schulsports ist und der Grundschulwettbewerb von Lehrkräften – seien sie fachfremd oder sportlich ausgebildet – als wertvolle Anregung für die Gestaltung des Sportunterrichts genutzt werden kann. Auch die Auffassung, dass Kinder sich gerne miteinander messen und vergleichen, teilten die Expertinnen und Experten. „Wenn Wettbewerbe an der Schule angeboten werden“, so gab der Sportdidaktiker Dr. Thomas Froschmeier zu bedenken, „müssen die Inhalte aber vorher eingeübt werden, damit Lernfortschritte erkennbar sind.“
Sofern Lehrkräfte dies beherzigen, können sie sicher sein, in viele leuchtende Kinderaugen zu blicken. Denn dann sind sie völlig losgelöst und mit Freude bei der Sache – so wie beim zentralen bayerischen „Jugend trainiert“-Grundschulwettbewerb an der TU München.
kg