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Wie die Pandemie unserer neuen Ski-Patin den Weg zu Olympia ebnete

Johanna Holzmann steht auf Skiern, seit sie drei Jahre alt ist. Im Alter von 26 erfüllte sich mit der Teilnahme an den Winterspielen 2022 in Peking ihr Traum von Olympia, und das, obwohl die Skisportlerin ihre größten Erfolge – zwölf Weltmeistertitel im Juniorenbereich zwischen 2012 und 2016, den Gewinn des Gesamtweltcups 2017/18 bei den Profis sowie WM-Gold 2019 – in einer Sportart feierte, die gar nicht olympisch ist: im Telemark. Ein Jahrzehnt lang gewann Johanna Holzmann Rennen um Rennen. Dann kam Corona und die passionierte Skiläuferin entdeckte eher zufällig Skicross als neue Herausforderung für sich. Die Oberstdorferin startete durch und gerade einmal elf Monate nach den ersten Trainingsversuchen bei Olympia.

Ein Porträt von Kai Gemeinder

Johanna Holzmann stammt aus einer sportbegeisterten Familie. Die Mama arbeitet als Sportlehrerin am Gertrud-von-le-Fort-Gymnasium Oberstdorf und betreut an der Eliteschule des Wintersports seit vielen Jahren die alpinen Schulteams bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics. Der Papa ist Staatlich geprüfter Skilehrer, Lehrbuchautor und im Bereich Ausbildung Vorstandschef beim Deutschen Skilehrerverband. Johannas ältere Brüder sind erfolgreiche Skirennfahrer, der eine im Telemark, der andere im alpinen Slalom und Riesenslalom. Außerdem haben alle drei Geschwister sehr zur Freude des Vaters mittlerweile auch die Lizenz als staatlich geprüfte Skilehrer erworben. Familie und Wintersport sind bei den Holzmanns untrennbar miteinander verbunden, spätestens, seit es die fünf Ende der 1990er Jahre aus Memmingen nach Oberstdorf gezogen hat.

Wenn Johanna bei einem Wettkampf an den Start geht, denkt sie gern an einen Skitourentag mit der Familie. Sich dieses Bild vor Augen zu führen, löst positive Gefühle und Freude bei ihr aus. „Dann kommt automatisch das Grinsen ins Gesicht“, sagt sie. So in den Lauf zu starten, gibt ihr Kraft. Im Grunde trägt sie die Familie immer bei sich. Nicht nur unmittelbar vor dem Wettkampf, sondern generell während der vielen Reisen, die der Profisport mit sich bringt. „Die Familie gehört immer mit dazu. Das hat auch etwas mit Heimat zu tun. Wenn ich jetzt irgendwo unterwegs bin auf Schnee, dann weiß ich trotzdem, dass ich mit meiner Familie verbunden bin, weil die anderen womöglich gerade woanders auf der Welt auf Schnee stehen,“ erklärt Johanna. Doch zurück zum Anfang. In die schon angesprochene Heimat. Nach Oberstdorf.

Einstieg in den Wintersport

Als Dreijährige stand Johanna erstmals auf Skiern, lernte im Skiclub Oberstdorf Langlauf und Ski alpin. Obwohl sie im Langlauf besser war, entschied sie sich im Grundschulalter fürs alpine Skifahren, weil sie ihren Brüdern nacheifern wollte, die sie bis heute als ihre Vorbilder bezeichnet. Nach dem Wechsel aufs Gymnasium Oberstdorf nahm Johanna zwischen 2007 und 2010 viermal an den bayerischen Alpin-Wettbewerben von Jugend trainiert für Olympia teil. Einmal qualifizierte sie sich dabei mit dem Schulteam und der eigenen Mutter als Betreuerin fürs Landesfinale in Garmisch. Ein alpines Bundesfinale gab es damals beim Schulsportwettbewerb noch nicht. Dennoch denkt die inzwischen 28-Jährige gerne an die gemachten Erfahrungen zurück: „Die Skirennen bei Jugend trainiert für Olympia waren für meine Schulkameradinnen und mich immer ein sportliches und erlebnisreiches Highlight. Eine breite sportliche Ausbildung, sich auszuprobieren, neue Dinge zu erlernen, Erfolgserlebnisse zu sammeln und mit Niederlagen umzugehen, halte ich auch für die Persönlichkeitsentwicklung für sehr wichtig.“

Für den SC Oberstdorf und als Mitglied des Regionalkaders Oberallgäu fuhr Johanna bis 2010 Alpinrennen. Allerdings hatte sie mit einem schmerzhaften, anatomischen Problem zu kämpfen: Beide Kniescheiben waren sehr instabil und sind permanent luxiert, also herausgesprungen. Deshalb stieg Johanna in der Folge auf den gelenkschonenderen Telemarksport um, den ihr ältester Bruder Benedikt bereits erfolgreich betrieb.

Aufstieg im Telemark

Telemark ist eine Sportart, die aus vier Elementen besteht: einem Riesentorlauf, einem Sprung, der Durchfahrt eines 360-Grad-Kreisels und einer abschließenden Skating-Strecke. Charakteristisch für das Telemarken ist die Abfahrtstechnik, die beim Riesentorlauf eingesetzt wird. Dabei schiebt sich bei jeder Kurvenfahrt wie bei einem Ausfallschritt wechselseitig der Fuß mit dem neuen Talski nach vorn. Das andere Bein – der Bergski – bleibt hinten, das Knie wird nach unten in Richtung Ski oder Schnee gedrückt, die Ferse hebt sich von der Bindung ab. Einem breiten Publikum ist dieser Bewegungsablauf von der gleichnamigen Telemark-Landung im Skispringen bekannt.

Diese Abfahrtstechnik ließ sich für Johanna mit ihren Knieproblemen besser bewältigen. Gleichsam kam ihr die breite Grundausbildung und Langlauferfahrung im letzten Rennabschnitt, der Skating-Strecke, zugute. Johanna Holzmann avancierte in der Jugend schnell zur besten Nachwuchsathletin der Welt. Zwölf Goldmedaillen gewann die Sportlerin des SC Oberstdorf in den drei Disziplinen Classic, Sprint und Parallelsprint bei Juniorenweltmeisterschaften zwischen 2012 und 2016. Auch bei den Seniorinnen konnte die Ausnahmekönnerin Rennen in allen drei Disziplinen für sich entscheiden, gewann unter anderem den Gesamtweltcup 2017/18 und krönte sich 2019 im Parallelsprint zur Weltmeisterin.

Umstieg zum Skicross

Ein Jahr später begann die Corona-Pandemie. Zwar war Johanna Holzmann in der Saison 2020/21 weiterhin im Telemark aktiv und nahm im März 2021 an der Weltmeisterschaft teil, bei der sie ihre vierte und fünfte WM-Medaille gewann. „Insgesamt aber“, so erzählt sie, „hatten es die kleineren Sportarten eher schwer, was die Anzahl an Wettkämpfen und Trainingsmöglichkeiten betraf.“

Weil nur 16 km von ihrer Heimat Oberstdorf entfernt die Skicross-Strecke Grasgehren liegt und Johanna Holzmann einige Skicrosser persönlich kannte, zog es sie am Ende der Saison 2020/21 zu Trainingszwecken auf die ungewohnte Piste. „Ursprünglich bin ich nur da hin, um meinen Start zu trainieren, weil wir ja beim Telemarken auch aus einem Startgate starten. Da das Skigebiet rundherum wegen Corona nicht geöffnet hatte, gab es nur den Skicross-Kurs, um wieder runterzukommen. Also bin ich durch den Kurs gefahren. Das hat mega viel Spaß gemacht und auch ziemlich gut funktioniert.“

So gut, dass ihr die Trainer signalisierten, wenn sie sich richtig reinhänge und Vollgas gäbe, könne Olympia 2022 eine Option für sie sein. „Da ging dann das Kopfkino los. Der Traum von Olympia, der eigentlich stillgelegt war, weil Telemarken keine olympische Disziplin ist, schien plötzlich greifbar“, berichtet Johanna Holzmann mit einem Glitzern in den Augen. Die Herausforderung habe sie enorm gereizt. Aber bis Olympia waren es nur elf Monate. Und dann kam erstmal der Sommer. „Da kannst du trainieren, was du willst. Aber du musst ja auf den Schnee warten. Das war wirklich eine sehr spannende Zeit.“ Als endlich der Schnee lag, musste sie sich zunächst für den Europacup qualifizieren und über den Europacup für den Weltcup, um dort wiederum die Olympiaqualifikation zu erreichen. „Das hat geklappt und so konnte ich mir den Traum einer Olympiateilnahme erfüllen.“

„Einfach nur genießen“: Die Olympischen Winterspiele Peking 2022

Dass der Umstieg zum Skicross – noch dazu in so kurzer Zeit – gelingen konnte, hatte mehrere Gründe. Unter anderem sind Johanna Holzmanns unbändiger Wille und Fleiß zu nennen, aber eben auch die pure Freude an der Bewegung, am Skisport, an der Herausforderung. Andererseits profitiert die Profisportlerin von zwei erfolgreich verlaufenen Knieoperationen – 2013 rechts, 2016 links –, die ihr neben intensivem Krafttraining mehr Halt und Stabilität gegeben haben.

Da es ihr größtes Ziel war, sich überhaupt für die Spiele zu qualifizieren, und sie anders als manche Teamkolleginnen und -kollegen keine Medaillenkandidatin war, verspürte sie in Peking keinen Druck. „Klar“, sagt sie, „wollte ich meine beste Leistung bringen und mindestens eine Runde weiterkommen, was ich auch geschafft habe. Aber ich kann wirklich sagen, dass ich alles vor Ort einfach nur genießen und aufsaugen konnte.“ Sie habe mehrere Wettbewerbe besucht, zum ersten Mal Biathlon live gesehen. Auch sei sie bei der Medaille des Skispringers Karl Geiger und der Langlaufstaffel dabei gewesen.

Im Skicross belegte Johanna Holzmann in Peking den 15. Platz. Und weil sie nach den Winterspielen nicht für das Saisonfinale qualifiziert war, da sie in der Saison nur eine Handvoll Weltcups bestritten hatte – sie musste ja zunächst den Umweg über den Europacup gehen –, nahm sie stattdessen an den letzten Telemark-Weltcuprennen des Winters teil und entschied das letzte davon für sich. „Ein schöner Saisonabschluss nach Olympia“, wie sie sagt.

„Auf der Suche nach dem perfekten Schwung“

Seitdem fokussiert sich Johanna Holzmann auf den Skicross, schließt eine Rückkehr zum Telemark aber nicht aus. Beim Saisonauftakt 2023/24 am 7. Dezember belegte sie einen guten sechsten Platz, gleichbedeutend mit der Einstellung ihres bislang besten Karriereergebnisses im Skicross. Sie spürt, dass sie immer noch besser werden kann. Das treibt sie an. Stets auf der Suche nach dem perfekten Schwung, dem perfekten Lauf. „Man versucht einfach immer noch weiter einen draufzulegen und ans Limit zu gehen. Das ist es, was die Passion Skifahren für mich ausmacht.“

Talenten rät die neue „Jugend trainiert“-Patin „mit einer gewissen Lockerheit konsequent an den Zielen zu arbeiten – mit viel Spaß und Freude, aber auch dem Fleiß und der Bereitschaft, die Leidenschaft für den Sport ins Training zu stecken.“

Wie lange sie selbst noch als Profi auf Skiern stehen wird, kann sie nicht sagen. Sie denkt von Saison zu Saison. „An der Motivation wird es nicht scheitern. Ich liebe den Sport. Aber es muss auch körperlich passen,“ so die 28-Jährige. Doch wenn es so weit ist und die Profikarriere irgendwann wirklich zu Ende geht, wird auch das etwas Gutes haben: Denn dann bleibt zumindest wieder mehr Zeit für Skitourentage mit der Familie.

© Johanna Holzmann

© Johanna Holzmann

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