Von Kai Gemeinder
Schon 2015 bei ihrem ersten „Jugend trainiert“-Einsatz für die Staatl. Schule für Sehbehinderte St. Michael Waldkirch machte die damals 11-jährige Leonie Walter auf sich aufmerksam. Obwohl der Skilanglaufwettbewerb für Jungen und Mädchen bis 18 Jahren ausgeschrieben ist, war Leonie Drittschnellste in der Loipe und sorgte beim Publikum für ungläubiges Staunen. Ihre Schule landete am Ende auf dem Silberrang. In den Jahren 2016 bis 2019 gewann Waldkirch dann vier Bundessiege in Folge, leistungs- und altersbedingt in wechselnder Besetzung. Nur Leonie war immer mit dabei und markierte von 2017 an die Bestzeiten unter allen Teilnehmenden.
Wären die Winterfinals im Skilanglauf in den Jahren 2020 und 2021 nicht ausgefallen – die Schwarzwälderin hätte ihre Titelsammlung vermutlich noch weiter ausgebaut. Aber auch so ist die mittlerweile 18-Jährige mit vier Bundessiegen und einmal Silber die erfolgreichste Teilnehmerin, die es seit 1969 bei „Jugend trainiert“ je gegeben hat.
Kaltschnäuzige Leonie Walter gewinnt Bronze und erfüllt sich einen Traum
Leonie hatte bei ihrer Geburt ein Sehvermögen von etwa zehn Prozent. Mit fünf Jahren fuhr sie Ski Alpin, Langlauf kam dazu, auch Schwimmen probierte sie aus. Den Traum, irgendwann bei den Paralympics an den Start zu gehen, verfolgt Leonie seit ihrer Kindheit, wie sie selbst sagt. Dass dieser sich bereits in Peking 2022 – wenige Wochen nach ihrem 18. Geburtstag – erfüllt hat, freut die ehrgeizige Sportlerin. Eine Überraschung ist dies allerdings nicht.
Bereits 2018 belegte Leonie im Langlauf-Weltcup ihre ersten Podiumsplätze. In Vuokatti landete sie zweimal auf Rang drei – als 14-Jährige. Inzwischen startet Leonie auch im Para Biathlon und hier ist ihr am heutigen 5. März 2022 der bislang größte Karriereerfolg gelungen. Zusammen mit Begleitläufer Pirmin Strecker gewann sie im paralympischen Biathlon Sprint in Zhangjiakou Bronze, was sie in ihrer Insta-Story mit den Worten „Da is das Ding!!!!!!“ kommentierte. Leonie leistete sich nur eine Strafrunde und präsentierte sich auf der Strecke gewohnt stark. Der Rückstand auf die im Schießen fehlerfreie ukrainische Siegläuferin Oksana Shyshkova betrug exakt 30 Sekunden. Auf Rang zwei landete sensationell die erst 15-jährige Deutsche Linn Kazmaier mit ihrem Guide Florian Baumann.
„Es ist ein riesen Gänsehautmoment. Ich bin total geflasht!“
Auch für die 20 Jahre alte Johanna Recktenwald haben in Peking ihre ersten Paralympischen Winterspiele begonnen. Nach der Eröffnungsfeier im „Vogelnest“ zeigte sich die Wahl-Freiburgerin total begeistert und beschrieb das Erlebnis als „riesen Gänsehautmoment“. Der Saarbrücker Zeitung hatte sie im Vorfeld erzählt, sie empfinde sehr viel Freude und Glück, bei den Spielen mit dabei sein zu dürfen.
Dass es dazu gekommen ist, hat Johanna nicht zuletzt Jugend trainiert für Olympia & Paralympics zu verdanken – denn ohne den Schulsportwettbewerb wäre die gebürtige Saarländerin aus Marpingen womöglich nie auf Skiern gelandet.
Man muss sich das einmal vorstellen: Als Leonie Walter 2016 beim Winterfinale in Schonach ihren ersten Bundessieg mit Waldkirch feierte, stand Johanna bei eben diesem Wettbewerb zum ersten Mal überhaupt auf Langlaufskiern. Über die Schul-AG an der Louis-Braille-Schule Lebach war die Schülerin mit einem Sehvermögen von drei Prozent damals zum Para Langlauf gekommen und belegte bei ihrer „Jugend trainiert“-Premiere in Schonach mit der Schulmannschaft Platz drei. Vor Ort erkannte Bundesnachwuchstrainer Michael Huhn Johannas Potential und brachte die Saarländerin in der Folge mit Para Biathlon in Berührung. Gut zweieinhalb Jahre nach ihren ersten Schneeversuchen startete Johanna erstmals im Weltcup, wo sie als Dritte gleich viermal auf dem Podest stand.
Johanna Recktenwalds rasante Entwicklung
Ihre rasante Entwicklung stelle sie zwischenzeitlich auch noch zweimal bei „Jugend trainiert“ unter Beweis. 2017 und 2018 landete sie mit der Louis-Braille-Schule Lebach jeweils hinter Waldkirch auf dem Silberrang und war nach Leonie Walter zweitschnellste Läuferin bei den Mädchen. 2017 – also nur ein Jahr, nachdem die Saarländerin erstmals auf Langlaufskiern gestanden hatte – waren neben Leonie lediglich deren Mannschaftskollegen Juliano und Justin Heymach schneller. 2018 hatte Johanna auch zu den schnellsten Jungen aufgeschlossen. 2019 war sie dann bereits so gut, dass sie nicht mehr an Jugend trainiert für Olympia & Paralympics teilnehmen konnte, weil sie für die zeitgleich stattfindenden Nordischen Para Skiweltmeisterschaften in Kanada nominiert worden war. Dort gewann sie im Para Biathlon WM-Bronze über die 12,5 km-Strecke.
Nach ihrem Abitur 2020 ist Johanna nach Freiburg gezogen, um zu studieren und ihre Sportkarriere voranzutreiben. In Peking tritt sie mit ihrem Begleitläufer Valentin Haag im Skilanglauf und Biathlon an. Der 22-Jährige hat ebenfalls „Jugend trainiert“-Erfahrung gesammelt, belegte 2015 mit dem Marie-Curie-Gymnasium Kirchzarten im olympischen Skilanglaufwettbewerb den neunten Platz. Bei ihrem ersten gemeinsamen Paralympics-Auftritt kamen sie als Siebte ins Ziel.
Leonie Walter und Johanna Recktenwald gehen im Biathlon und Skilanglauf an den Start
Die ehemaligen „Jugend trainiert“-Talente peilen mit ihren Begleitläufern bei den Paralympischen Spielen weitere Starts im Biathlon und Skilanglauf an. Leonie geht am 7. März um 5:45 Uhr im Para Langlauf über 15 km klassisch erneut auf Medaillenjagd. Das nächste Biathlon-Rennen für Leonie und Johanna steht am 8. März um 7:00 Uhr deutscher Zeit über die Mitteldistanz auf dem Programm. Insgesamt planen beide Sportlerinnen in Peking die Teilnahme an fünf bis sechs Wettbewerben ein. Geschichte geschrieben haben sie schon jetzt – als erste paralympische Wintersportlerinnen, die den Sprung von „Jugend trainiert“ zu den Paralympics geschafft haben. Aber ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie hat gerade erst begonnen.