von Kai Gemeinder
Die ländliche Förderschule aus Wiehl-Oberbantenberg im Oberbergischen Kreis in Nordrhein-Westfalen legt großen Wert darauf, dass ihre Schüler*innen, auch diejenigen mit Schwerstbehinderungen, mit Sport in Berührung kommen. Weil die wenigsten der 180 Kinder und Jugendlichen in einem Sportverein aktiv sind, bietet die Schule selbst eine große Bandbreite an sportlichen Angeboten. Regelmäßig finden Sportaktionstage mit der Möglichkeit, das Sportabzeichen abzulegen, statt und werden Rolli-Sport-Camps sowie Schwimm- und Fußballturniere durchgeführt oder Sportfreizeiten organisiert. „Wir machen ganz viele Dinge, die Schülerinnen und Schüler normalerweise in den Sportvereinen erleben“, erklärt Monika Güdelhöfer. Als wichtiger Baustein der vielfältigen Aktivitäten sei von der ersten Pilotveranstaltung im Jahr 2010 an Jugend trainiert für Paralympics dazugekommen, wobei man sich hier auf die Sportarten Rollstuhlbasketball und Para Schwimmen fokussiere.
Im Rahmen eines Mini-Rollstuhlbasketball-Turniers sollte am 02. April die Schule für ihr vielfältiges Engagement mit der Jubiläumsplakette von „Jugend trainiert“ ausgezeichnet werden. Zu der Veranstaltung, die aufgrund der Corona-Beschränkungen kurzfristig abgesagt werden musste, hatten sich unter anderem Sportgrößen wie der Handball-Weltmeistertrainer Heiner Brand, die Paralympics-Siegerin im Rollstuhlbasketball, Annika Zeyen, und der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, Friedhelm Julius Beucher, angekündigt.
An jenem 02. April hätte man sicherlich auch noch einmal voller Stolz auf das 1. Offizielle Bundesfinale von Jugend trainiert für Paralympics (siehe Fotos unten) zurückgeblickt. Bei der Premiere 2012 feierte die Hugo-Kükelhaus-Schule nämlich den größten Erfolg ihrer Schulgeschichte: den Titel im Rollstuhlbasketball.
Seitdem allerdings konnten sie sich in dieser Sportart nicht mehr für das Bundesfinale qualifizieren. Auf Ebene des Regierungsbezirks Köln scheitern die Kükelhaus-Schüler*innen Jahr für Jahr an der Anna-Freud-Schule Köln, die ihrerseits deutschlandweit zu den stärksten Schulen im Rollstuhlbasketball zählt. 2013 holten die Domstädter*innen anstelle der Hugo-Kükelhaus-Schule den Bundessieg nach NRW und landeten auch in den Folgejahren zumeist auf dem Podest.
Anders sieht die Situation im Para-Schwimmen aus. Hier gelang der Hugo-Kükelhaus-Schule Erstaunliches: Von der ersten Pilotveranstaltung 2010 bis zum Bundesfinale im Jahr 2019 durfte die Schule zehnmal in Folge das Land Nordrhein-Westfalen im Para Schwimmen vertreten. Hierfür müssen sich die Schwimmer*innen auf Regierungsbezirksebene gegen zehn andere Schulteams durchsetzen und auf Landesebene gegen weitere vier. „Dass wir es immer wieder schaffen, uns für das Bundesfinale zu qualifizieren, ist ein faszinierender Erfolg“, schwärmt Monika Güdelhöfer.
Doch wie eingangs erwähnt, landen die Schüler*innen der Hugo-Kükelhaus-Schule in Berlin regelmäßig auf dem vierten Rang – zuletzt sechsmal in Folge. Sind sie als „ewige Vierte“ also die Pechvögel des Wettbewerbs? Keineswegs.
Worum geht es bei „Jugend trainiert“?
Allzu oft steht im Sport der Erfolg über allem. Erfolgreich ist, wer es aufs Podest geschafft hat. Die Währungen heißen Gold, Silber und Bronze. Wer Edelmetall gewinnt, zählt zu den Siegern, der Viertplatzierte hingegen gilt zumeist als erster Verlierer.
Würde man dieser Sichtweise uneingeschränkt folgen, müssten sie tieftraurig sein an der LVR-Hugo-Kükelhaus-Schule.
Aber was, wenn es bei Jugend trainiert für Olympia & Paralympics um weit mehr geht als um Medaillen? Zum Beispiel um Teilhabe, sprich Inklusion? Oder um Freude an der gemeinsamen Bewegung? Darum sich untereinander kennenzulernen, im besten Fall sogar Freundschaften zu schließen? Oder schlicht um Werte wie Fairness, Toleranz und gegenseitigen Respekt?
Wenn der Perspektivwechsel gelingt und es auch im Wettkampfbereich um mehr geht als das sportliche Resultat allein, können tatsächlich alle gewinnen. Dafür steht Jugend trainiert für Olympia & Paralympics. Der Leistungsgedanke ist zwar wichtig, aber nur ein Aspekt unter vielen. Die Deutsche Schulsportstiftung verfolgt als Veranstalter des Schulsportwettbewerbs eine ganze Reihe von Zielen. Die Fragezeichen im vorigen Absatz könnten insofern allesamt durch Ausrufezeichen ersetzt werden. Hinzu kommt das Bestreben, junge Menschen an den Sport heranzuführen und bestenfalls zu lebenslangem Sporttreiben zu animieren.
Genauso sieht es auch Monika Güdelhöfer, die sich seit 40 Jahren im Behindertensport engagiert und im Gespräch immer wieder die prägende Kraft des Sports für die Persönlichkeitsentwicklung betont. Bezogen auf „Jugend trainiert“ ergänzt sie, dass die Teilnahme am Bundesfinale noch aus weiteren Gründen wertvoll für ihre Schüler*innen sei. „Wir reisen als Gemeinschaft nach Berlin und nehmen uns Zeit, die Hauptstadt zu erkunden. Die Atmosphäre im Schwimmstadion ist klasse, ebenso bei der Abschlussveranstaltung. Das ganze Drumherum eines Bundesfinales begeistert die Schülerinnen und Schüler genauso wie uns Erwachsene immer wieder aufs Neue. Ganz besonders im letzten Jahr beim Einzug ins Berliner Olympiastadion. Das war schon sehr speziell.“
Alles eine Frage der Einstellung!
Es gibt also eine Vielzahl an Gründen, die dazu führen können, dass Schüler*innen ihre Teilnahme beim Bundesfinale als Highlight ihrer Schulzeit bezeichnen. Und wenn man nun doch das sportliche Abschneiden in den Fokus nimmt? Gelten die Teams der Hugo-Kükelhaus-Schule zumindest unter diesem Aspekt als die tragischen Helden des Wettbewerbs?
„Nein“, bekräftigt, Monika Güdelhöfer, die sich selbst als Betreuerin, Trainerin und Motivatorin bezeichnet, und erklärt: „Natürlich würden meine Schülerinnen und Schüler gerne Medaillen gewinnen. Aber das ist eben schwierig. Darauf bereite ich mein Team vor. Wir sind keine Profis, haben keine Deutschen Meister dabei und auch keine Jugendnationalkader-Schwimmer. Was wir dagegen machen ist leistungsorientierter Breitensport. Niemand aus unserer Mannschaft ist in einem Schwimmverein aktiv. An unserem Standort steht uns in der Regel nur das eigene Therapiebad von 13,5m Länge zur Verfügung, das wir vor allem für Techniktraining nutzen. Die drei Schulen und Förderzentren aus Berlin, Schwerin und Potsdam, die beim Bundesfinale immer vor uns landen, haben in vielerlei Hinsicht ganz andere Voraussetzungen als wir. Kollegen sagen vor Ort oft zu mir: ‚Ihr gewinnt die Goldmedaille der Amateure‘. Und das vermittle ich auch meinen Schülerinnen und Schülern.“
„Goldmedaille der Amateure“
Es geht für die Kükelhaus-Schule also weniger darum, den drei übermächtigen Gegnern ihren Rang streitig zu machen, als darum, gegenüber der übrigen Konkurrenz den vierten Platz zu verteidigen. So betrachtet, zählt die Kükelhaus-Schule zu den erfolgreichsten Schulen überhaupt. Seit Jahren erreichen sie ihr selbsterklärtes Ziel, die Mannschaften aus den restlichen Bundesländern auf Distanz zu halten und den Status als viertbestes Schulteam Deutschlands im Para Schwimmen zu halten. „Das ist eine Wahnsinnsleistung für eine kleine Dorfschule wie uns“, sagt die erfahrene Pädagogin. Dem ist nichts hinzuzufügen.