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Der geplatzte Traum #3 | „Es war der beste Tag meines Lebens“

In der kommenden Woche hätte das Frühjahrsfinale von Jugend trainiert für Olympia & Paralympics in Berlin stattfinden sollen, das aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. In einer dreiteiligen Serie porträtieren wir Schulteams, die zum ersten Mal bei einem Bundesfinale dabei gewesen wären. Sie kommen aus Idstein, Leichlingen und Betzdorf. Stellvertretend für alle Qualifizierten würdigen wir deren Leistungen, indem wir ihre Geschichten erzählen.

von Kai Gemeinder

#3 Freiherr-vom-Stein-Schule Betzdorf, Rheinland-Pfalz – Tischtennis WK II Jungen

Eine kleine Einschränkung muss gemacht werden. Anders als die Schulen aus Idstein und Leichlingen, die sich 2020 zum ersten Mal in ihrer gesamten Schulgeschichte mit einer Mannschaft für das Bundesfinale von „Jugend trainiert“ qualifizieren konnten, hat die Freiherr-vom-Stein-Schule dies bereits einige Male zuvor erreicht. Zuletzt schaffte 2013 ein Fußballteam den Sprung nach Berlin und auch im Tischtennis nahm schon einmal ein Team am Frühjahrsfinale teil. Das war allerdings Anfang der 1990er Jahre, erinnert sich Sportlehrer Kai-Uwe Körner, also lange bevor die Spieler seiner aktuellen Mannschaft geboren wurden. Damals hat sein Team in Berlin Bronze gewonnen. Aber das nur am Rande.
 
Die aktuellen Tischtennisspieler der WK II Jungen aus Betzdorf haben ihren Platz in unserer Mini-Serie trotz der Vorgeschichte verdient. Nicht nur, weil zwischen ihrem und dem Erfolg ihrer Vorgänger fast 30 Jahre vergangen sind. Sondern vor allem, weil die Spieler wohl mehr als alle anderen Qualifizierten in ganz Deutschland dafür gekämpft haben, nach Berlin reisen zu dürfen. Und das nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Genau genommen sind es deshalb zwei Geschichten, die wir hier erzählen wollen. Zuerst die sportliche:

Kai-Uwe Körner hat derzeit eine schlagkräftige Tischtennismannschaft beisammen. Trotzdem sah sich das Team bei „Jugend trainiert“ eher als Underdog. Zum einen ist die Konkurrenz in Rheinland-Pfalz traditionell recht stark, zum anderen sind die Spieler zum Teil gerade erst in die WK II aufgerückt und waren beim Landesentscheid im Schnitt etwa ein Jahr jünger als ihre stärksten Gegner. Auf dem Weg zum Landesmeistertitel bestach Betzdorf mehrfach durch Siegeswillen und Nervenstärke. Beim Regionalentscheid traf man unter anderem auf das Bertha-von-Suttner-Gymnasium Andernach, das im Vorjahr in der WK III das Bundesfinale erreicht und deutschlandweit einen guten sechsten Platz belegt hatte. Trotz mehrmaligen Rückstandes setzten sich die Betzdorfer durch und qualifizierten sich etwas überraschend für das Landesfinale von Rheinland-Pfalz (wir berichteten), bei dem am 02. März in Trier 20 Landessieger in sieben Sportarten ermittelt wurden. 

Dort traf Betzdorf im entscheidenden Duell auf Nieder-Olm. Felix Meyer im Einzel und an der Seite von Tom Hammer im Doppel sowie Pascal Heidrich, ebenfalls im Einzel, holten wichtige Punkte fürs Team. Trotzdem lag Betzdorf vor den beiden letzten Partien mit 3:4 zurück. Zunächst musste Felix Klapper Nervenstärke beweisen. Zweimal lag er mit Satzrückstand hinten, erreichte dennoch den finalen fünften Satz. Diesen entschied er erst nach mehrmaliger Verlängerung mit 15:13 für sich und hielt seine Mannschaft damit im Rennen um den Landestitel. Im letzten Match des Tages holten schließlich Philip Seidel und Pascal Heidrich den vielumjubelten fünften Punkt und damit auch den Sieg. Niemand hatte mit diesem Erfolg im Vorfeld gerechnet. Michael Stäudt vom Bildungsministerium, der die rheinland-pfälzische Schulsportlandschaft in seiner Funktion als Delegationsleiter wie kaum ein anderer kennt, sprach im Zusammenhang mit Betzdorf von einer „kleinen Sensation“. Soweit der sportliche Teil.

Elf Tage später folgte auf die große Freude Ernüchterung. Das Frühjahrsfinale von Jugend trainiert für Olympia & Paralympics wurde abgesagt. Das aber wollten die Spieler aus Betzdorf nicht so einfach hinnehmen. Sie kämpften weiter. Von diesem Kampf handelt die zweite und aus unserer Sicht noch beeindruckendere Geschichte des Tischtennisteams.

Schüler der Freiherr-vom-Stein-Schule starten Petition

Noch am Tag der Absage erreichte uns eine E-Mail von Richard Pfeifer. Er zählt zu den Spielern aus der WK II Mannschaft und beschrieb in eigenen Worten, wie sie es mit etwas Glück und großem Kampfgeist geschafft hatten, sich fürs Bundesfinale zu qualifizieren. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das der beste Tag meines Lebens war“, schrieb er uns. Er zeigte Verständnis für die Absage im Mai, bat aber gleichzeitig um eine Verlegung des Frühjahrsfinales auf einen späteren Zeitpunkt. „Bitte gebt uns unser wohlverdientes Finale. Wir haben es erreicht, also wollen wir es auch spielen.“

Wir haben zahlreiche Nachrichten wie die von Richard erhalten, zumeist über unsere sozialen Kanäle, teilweise auch per Mail. Die Reaktionen zeigen uns, welch hohen Stellenwert der Schulsportwettbewerb Jugend trainiert für Olympia & Paralympics für viele teilnehmende Schülerinnen und Schüler hat. Dafür sind wir dankbar.

Aber die Geschichte ist hier nicht zu Ende, sie fängt gerade erst an. Denn Tom Hammer, ein weiterer Spieler aus der Mannschaft, hatte eine Idee. Er startete eine Petition. Zusammen mit seinen Mitschülern recherchierte der 14-jährige stundenlang, um andere Landessieger in ganz Deutschland ausfindig zu machen, und schrieb sie an. Obwohl die Petition nicht für die Allgemeinheit zugänglich war, schaffte es das Tischtennisteam der Freiherr-vom-Stein-Schule Betzdorf, in kurzer Zeit 576 Unterschriften für eine Verlegung des Frühjahrsfinales zu sammeln, und wandte sich erneut per E-Mail an uns. In dieser heißt es: „Wir sind Sportler und geben nicht auf, bevor wir nicht alles gegeben haben. So haben wir das erreicht, womit wir niemals gerechnet hätten. Langsam wurde uns bewusst, dass wir nicht bloß Unterschriften gesammelt haben. Wir haben noch viel mehr erreicht. Wir haben ein Feuerwerk der Hoffnung und des Teamgeistes ausgelöst. Es war überwältigend. Und hier stehen wir nun. Nicht nur als Sportler oder Jugendliche, sondern als das größte Team, welches jemals bei Jugend trainiert für Olympia angetreten ist.“

Soviel Eigeninitiative verdient Respekt und Anerkennung. Das Tischtennisteam aus Betzdorf hat sich in beeindruckender Weise für seine eigenen Interessen, aber auch die von vielen anderen eingesetzt. Der Schulsportwettbewerb versucht seit jeher, positive Werte wie Fairness, Teamgeist und Einsatzfreude zu vermitteln. Die Aktion der Betzdorfer steht damit für genau das, was „Jugend trainiert“ über den rein sportlichen Aspekt hinaus auszeichnet.

Nichts würde uns mehr freuen, als wenn sich der Wunsch von Richard Pfeifer, Tom Hammer und allen anderen qualifizierten Schülerinnen und Schülern des Frühjahrsfinales doch noch erfüllen ließe. Ob eine Verlegung möglich ist, wird derzeit geprüft, hängt aber von vielen Faktoren ab. Nicht zuletzt auch davon, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickelt. 

Was uns die derzeitige Krise schon jetzt gelehrt hat, ist, dass wir alle zusammenhalten müssen. So wie die Schüler aus Betzdorf, die in der Tat das größte „Jugend trainiert“-Team hinter sich vereint haben, das der Wettbewerb je gesehen hat.
 

Die erfolgreiche Mannschaft des TT-Teams Betzdorf: h.l. Adrian Zink, Betreuer Kai-Uwe Körner, Philip Seidel, Richard Pfeifer, Felix Meyer; v.l. Felix Klapper, Tom Hammer und Pascal Heidrich © Freiherr-vom-Stein-Schule Betzdorf

Pascal Heidrich (vorne mit Ball) und Philip Seidel holten im Doppel den entscheidenden fünften Punkt zur Qualifikation zum Frühjahrsfinale 2020. © Freiherr-vom-Stein-Schule Betzdorf

Da schien die Welt noch weitgehend in Ordnung zu sein: Bei der Siegerehrung des Landesfinales in Trier gratuliert die Bildungsministerin und derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz Dr. Stefanie Hubig der Nummer 1 im Team von Betzdorf, Felix Meyer. Ebenfalls bei der Medaillenübergabe dabei: Die Bahnrad-Olympiasiegerin und aktuelle Sportlerin des Jahres in Rheinland-Pfalz, Miriam Welte. © Hasan Bratic/rscp-photo

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